Im Ausland ist die Lage ebenfalls besorgniserregend. In Österreich ist die Zahl der Arbeitslosen innert eines Monats um 52.5 Prozent gestiegen, in Deutschland haben 650'000 Unternehmen Kurzarbeit angemeldet, in den USA haben sich innert drei Wochen über 15 Millionen Menschen um Arbeitslosenhilfe bemüht. Derart rasche negative Entwicklungen sind historisch einmalig.
Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt werden sich sehr bald auch in den (weniger häufig publizierten) Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) niederschlagen. Schon jetzt sind die Vorhersagen für 2020 massiv nach unten korrigiert worden. Das Institute of International Finance erwartet, dass das globale BIP um knapp 2 Prozent sinken, statt wie eigentlich erwartet um über 2 Prozent wachsen wird. Hierzulande könnte der Einbruch sogar noch heftiger werden, wie das KOF kürzlich prognostiziert hat:

Quelle: Konjunkturforschungsstelle (KOF), März 2020
Die Graphik des KOF zeigt für die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz vier verschiedene Szenarien auf: ohne Krise, einen milden Verlauf, ein Basisszenario sowie eine negative Entwicklung. Der Vergleich mit der Finanzkrise von 2008/2009 zeigt, wie heftig der Einbruch im negativen Szenario wäre. Die Wirtschaft würde um gut vier Prozent schrumpfen – ein Einbruch, wie man ihn lange nicht gesehen hat.
Die Wirtschaft bricht ein, erholt sich aber auch wieder
Allerdings zeigt die Graphik des KOF auch etwas Positives: nach Ansicht der Konjunkturforscher sollte sich die schweizerische Wirtschaft auch im negativen Fall innert zwei Jahren von der Krise erholt haben. Diese wirtschaftliche Erholung wird im Englischen auch als rebound bezeichnet. Viele Ökonomen diskutieren derzeit, ob es hierbei zu einer V-förmigen oder U-förmigen Entwicklung kommen wird. Damit ist gemeint, wie rasch das BIP sich nach dem Einbruch wieder erholt und das Vorkrisenniveau erreicht. Bei der Finanzkrise hat es in der Schweiz dafür gut zwei Jahre benötigt.
Während aktuell noch grosse Unsicherheit herrscht bezüglich der Geschwindigkeit der Erholung, so besteht doch grosse Einigkeit unter Fachleuten, dass es eine Erholung geben wird. Woher kommt dieser Optimismus und was folgt daraus für die aktuelle Wirtschaftspolitik?
Um diesen Aspekt zu verdeutlichen nehmen wir das BIP der Schweiz aus dem Jahr 2019 in Höhe von rund 700 Milliarden Franken. Damit bezeichnen wir die gesamte Wertschöpfung innerhalt eines Jahres. Möglich war diese enorme Leistung durch den Einsatz von Arbeitskraft, Maschinen, Infrastruktur, Rohstoffen, technischer Expertise, gutem Management und vielen weiteren Faktoren. Im Jahr 2019 standen uns alle diese Faktoren zur Verfügung und wir haben sie eingesetzt, um 700 Milliarden Franken an Wert zu schaffen.
Wie die untenstehende Graphik zeigt, hat sich das schweizerische BIP seit 1990 stark erhöht. Ausserdem sehen wir, dass es bessere Phasen (2004-2008) und schlechtere Phasen (1990er Jahre) gegeben hat. Trotz der konjunkturellen Schwankungen lässt sich jedoch ein klarer Trend erkennen. Dieser in blau dargestellte Trend lässt sich auch als Entwicklung des Produktionspotentials bezeichnen. Im «Normalfall» wird die schweizerische Wirtschaft so viel produzieren, wie die blaue Linie anzeigt. In Boomphasen mag es mehr, in einer Rezession weniger sein. Aber mittelfristig kehren wir zu diesem mittelfristigen Niveau zurück. Dies einfach deshalb, weil sich die vorhin genannten Produktionsfaktoren in der Regel nur wenig von Jahr zu Jahr ändern – solange sich die Wirtschaft nicht strukturell verändert.

Datenquelle: Bundesamt für Statistik
Eine wirtschaftliche Erholung ist keineswegs sicher
Die blaue Linie und deren positiver Trend sind jedoch nicht naturgegeben. Es gibt viele europäische Länder, deren Trend seit Jahren wenig erfreulich ist. Beispielsweise stagniert das BIP pro Kopf in Italien seit gut zwanzig Jahren, wie die Graphik zeigt. Es kommt nicht überraschend, dass Länder mit einer schlechten wirtschaftlichen Entwicklung in der Vergangenheit nun auch grössere Probleme bei der Bekämpfung der Coronakrise haben. Gute medizinische Versorgung ist teuer. So wie ein gesunder Mensch besser mit COVID-19 zurechtkommt als jemand mit Vorerkrankungen oder einem schwachen Immunsystem, kommen wirtschaftlich gesunde Staaten derzeit besser zurecht.
Die aktuelle Situation legt die ohnehin schon bestehenden Mängel noch offener dar. Dazu gehören die wirtschaftlichen Probleme Italiens, eine hohe Verschuldung von Staaten und Unternehmen, das mangelhafte Gesundheitssystem der USA, aber auch die strukturellen Probleme armer Länder. Während COVID-19 alle Länder trifft, so variiert die Fähigkeit zur Bekämpfung doch erheblich.

Datenquelle: Eurostat
Ein wirtschaftlicher Einbruch wie derzeit kann bleibende Schäden hinterlassen. Dies passiert beispielsweise, wenn es nicht gelingt, eine Brücke zu bauen, um die kurzfristigen Verwerfungen zu kompensieren. Dann hinterlässt der kurzfristige Einbruch nur schwer reparable Schäden. Ebenso können sich die in der Krise beschlossene Massnahmen verstetigen. Weltweit beobachten wir, wie Politiker den Spruch «Never let a good crisis go to waste» («Lass keine Krise ungenutzt») beherzigen und allerlei parteipolitische sowie ideologische Ideen im Zuge der Krise umsetzen wollen. Es ist daher überlegenswert die derzeitig getroffenen Massnahmen und Gesetze im Kampf gegen COVID-19 mit einem Verfallsdatum zu versehen. Dies gilt umso mehr hierzulande: da die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen insgesamt in der Schweiz bis dato sehr gut waren, sollten wir sie nicht dauerhaft schädigen.
Vielmehr sollten wir aus diesem «Stresstest» lernen. Noch im Herbst 2019 wurde die Schweiz international belächelt für ihre strategischen Reserven (an Lebensmitteln oder im konkreten Fall Kaffee). Jetzt zeigt sich, dass Absicherungen für Notsituationen durchaus ihre Berechtigung haben. Dasselbe gilt für internationale Handelsbeziehungen. Falsch wäre es, würde nun weltweit der Trend hin zum Protektionismus und Nationalismus verstärkt. Ungleich klüger ist es, wenn wir die Vorteile der Globalisierung weiter nutzen, uns aber bei wichtigen Lieferketten mehr Optionen aufbauen. Das neue Stichwort im Management heisst nun auch «Resilienz» (Widerstandsfähigkeit).
Die Coronakrise hat das Potential auch in der Schweiz dauerhaft wirtschaftliche Schäden zu hinterlassen. Ziel der aktuellen Wirtschaftspolitik sollte es sein, die Quellen des Wohlstands zu erhalten. Dazu zählen insbesondere die voran genannten Produktionsmittel. Die Kosten für Überbrückungskredite und Kurzarbeit sind sehr hoch, dennoch wäre es ungleich teurer, Tausende von Firmen bankrottgehen zu lassen. Die Neugründung von Unternehmen sowie die Einstellung vieler neuer Arbeitskräfte sind mit hohen Kosten verbunden. Sind die Massnahmen der Politik gegen COVID-19 hingegen von kurzer Dauer, lässt sich für die meisten Arbeitnehmer und Firmen eine Brücke bauen. Dann stehen uns zeitnah wieder alle Produktionsmittel zur Verfügung und die Wirtschaft erholt sich rasch.
Weitsichtige Politik hat die kurze und lange Frist im Blick
Eine weitsichtige Politik hat auch in der Krise die mittlere und lange Frist im Blick. Nur dank des hohen Wohlstands hierzulande ist der humanitäre Schaden durch COVID-19 begrenzt. Es gilt nun, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Zeit nach der Coronakrise zu entwerfen. Daher gehört neben die kurzfristen Massnahmen auch und vor allem die mittel- und langfristige Perspektive auf die strukturellen Aspekte der Wirtschaft. Diese dürfen weder durch COVID-19 noch durch fehlgeleitete staatli-che Interventionen substantiell und dauerhaft geschädigt werden. Gelingt uns dies, dann erleben wir nicht nur eine rasche wirtschaftliche Erholung in der Schweiz, sondern wir sind auch für zukünftige Krisen gerüstet.